Den Gunners fehlt Plan B

Arsenal muss zusehen, wie Rivale Manchester vorzeitig den achten Premier-League-Titel in elf Jahren unter Dach und Fach bringt und damit die Machtverhältnisse zementiert

LONDON taz ■ Arsenal werde die Champions League gewinnen und die ganze Saison kein Spiel verlieren. So hatte es Arsène Wenger vergangenen Sommer angekündigt, „eine Verschiebung der Machtverhältnisse“ würde sich demnach im englischen Fußball ereignen. Nicht wenige Experten hatten die Meinung des Franzosen geteilt, doch am Sonntag knallten die Korken mal wieder in Manchester: Die 2:3-Niederlage der „Gunners“ gegen Leeds am vorletzten Spieltag besiegelte Uniteds achten Premier-League-Titel in elf Jahren. Mit acht Punkten Vorsprung ist Sir Alex Fergusons Mannschaft nicht mehr einzuholen.

Wenger, der mit seinem Team die Tabelle noch Anfang März mit derselben Differenz angeführt hatte, gab „bitter enttäuscht“ zu bedenken, dass er in den letzten Wochen auf eine ganze Reihe von Stammspielern verzichten musste und hatte ansonsten wie immer seine Probleme mit dem Verlieren: „Wir haben den Titel verloren. Ich denke aber, dass wir das beste Team der Liga sind.“ In der Tat hatten die Londoner lange Zeit Angriffs-Fußball von atemberaubender Qualität gezeigt – bis ihnen nach dem Champions-League-Aus auch in der Liga die Luft ausging. Das sensible Künstlerensemble lebte von dem Glauben an die eigene Brillanz, als sich Zweifel einschlichen, fehlte Plan B. Anders als United konnte der Vorjahres-Meister Siege nicht durch Kampf und Willen gewinnen.

Ob United es verdient hat? Der zerknirschte Fußballprofessor aus dem Elsass ist sich nicht sicher. „Sie waren bestimmt nicht überragend, aber konstant. Und sie haben rechtzeitig zu ihrer Form gefunden.“ United spielte bis zum Frühjahr eine äußerst mittelmäßige Saison, doch im entscheidenden Moment bewies das Team seine Siegermentalität: 15 der vergangenen 17 Spiele entschieden die Red Devils für sich. Ferguson konnte so hochzufrieden die „heroische Aufholjagd“ und den „fantastischen Mannschaftsgeist“ seiner Spieler loben und leicht boshaft die „triumphalistischen“ Aussagen der Arsenal-Führung in Erinnerungen rufen: „Wir dagegen sind ruhig geblieben und haben unsere Arbeit gemacht.“

Der grantige Schotte kam nicht umhin, die Leistung eines Mannes besonders hervorzuheben. „Ruud Van Nistelrooy könnte der beste Stümer sein, den United je hatte“, jubelte Sir Alex. Der famose Holländer hatte mit seinem Hattrick gegen Charlton am Samstag dem Team den entscheidenden Vorteil verschafft. 24 Saison-Tore in der Liga stehen für ihn zu Buche und das Kleingedruckte liest sich noch besser: Van Nistelrooy hat dieses Jahr in 49 Partien 43 Tore erzielt, insgesamt liegt seine Schwindel erregende Bilanz bei 79 Toren in 100 Spielen. Der Gewinn des Titels war in erster Linie sein Verdienst. Während andere Stammkräfte schwächelten (Beckham, Giggs) oder lange verletzt ausfielen (Keane, Scholes), übernahm der Torjäger die Verantwortung. Neben ihm überzeugten vor allem die Jungen: John O’Shea und Wes Brown verhalfen dem ausgelaugten Laurent Blanc zu einem verdienten Ruheplatz auf der Tribüne und bildeten mit dem 32-Millionen-Pfund-Mann Rio Ferdinand die beste Abwehr der Liga.

Wenger hingegen wird sich für seine Einkaufspolitik kritisieren lassen müssen. Sein glückliches Händchen für hervorragende Offensivkönner zu akzeptablen Preisen greift regelmäßig daneben, wenn es um die Abwehr geht: bis auf den ausgezeichneten Sol Campbell hat er in den vergangenen Jahren zu viele Leute wie Oleg Luschni oder Igor Stepanows geholt, die selbst noch in der 2. Bundesliga Probleme hätten. Die Wahrheit liegt aber nicht nur auf dem Platz, sondern auch knapp daneben. Als Wenger davon sprach, dass die beiden Mannschaften nicht viel trennen würde, muss er den Stadionsprecher überhört haben. Wie jede Woche kamen in Manchester knapp 30.000 Zuschauer mehr ins Stadion als ins veraltete Highbury; United verdient somit in jedem Heimspiel eine Million Pfund mehr als der Rivale. Ferguson konnte so dreimal in Folge den englischen Transfer-Rekord brechen, während Wenger um die ihm zugesicherten zehn Millionen für Neuverpflichtungen bangen muss. Nach einer Verschiebung der Machtverhätnisse klingt das nun wirklich nicht.

RAPHAEL HONIGSTEIN